WG39 – Briefentwurf an Alma Mahler
Neubabelsberg, Sonntag, 7. August 1910

Ich begreife fast nicht, wie Dich
ein anderer lieben darf, lieben
kann, da ich Dich so ganz allein,
so voll u innig liebe, nichts
anderes kenne, noch ewig nah
habe als Dich

 Ich will auf der Hut sein,
daß mein Herz nicht durch
die Gleichförmigkeit des
Lebens in den Schlaf geschau-
kelt wird

 Ich habe so viel, ohne
Dich würde alles zunichte

 ich kenne mich jetzt erst
Beste, mache mit mir, was
Du willst

Ich war \ich/ zu sicher?
Werd ich noch einmal
liebelispelnd mit Dir Küsse
                       tauschen?
Ich rede in großen Tönen und
wenn ich mein Können ansehe
so ist es nichts, alles nur
Sehnsucht, keine Taten

Mein Blut, mein Blut!
Ich brauchte Aderlässe.
Wenn ich an Deine süße Nähe
denke, so n . v . . . g.

\Dunkelheit hat mich überrascht/
noch nie war ich glücklicher, noch
nie in meinem Empfinden
für alles was mich umgiebt
voller u inniger. Das ist
Leben; wie ich Dir schrieb, man
braucht mehr als das
notwendige

 Wie wert ich mir selbst
werde, da Du Doch [!] mich liebst
ich achte auf all mein Tun
nichts gleichgültiges mehr
alles hat Festigkeit u Ziel
\die nichtigsten Handlungen reich/

 O Du Engel nur um
Deinetwillen will ich leben.

 Du reines Kind, nur Gefühl
nur Weib, nur Herz##, wie
anders sah ich das von anderen
Männern

 Wofür habe ich gelebt die
vergangenen Jahre, ich war auf dem
besten Wege mit in den jämmer-
lichen Strudel der Glücksjagd gerissen
zu werden, Dir\u/ verdanke ich
mein Scheu, Du hast mich aus
dem Traume gerüttelt mir
meine Seele gerettet. Ich schäme
mich jetzt so vieler Taten, die
ich in Deiner Nähe nie wieder
begehen würde. mei \nur/ gut

 Es giebt kein draußen \Suchen/ mehr
ich kehre in mich selbst zurück u
finde meine Welt

 ich lächle u träume weiter
Ich stürze mich des Tags über in das Treiben u behalte
das süße Gefühl d Freiheit, daß ich diesen Kerker ver-
lassen kann wann es mir gefällt.

Sei lieb und geh auf meine
Briefe etwas [ein], ich möchte wissen, was
Du zu dies und jenem sagst,
sonst hab ich ein Gefühl als
käme das erhoffte Echo nicht zurück
wie einer, der auf das Echo wartet
u es bleibt aus

 Wurde irgend ein Urteil
gesprochen u Du wagst es
nicht zu sagen? alles mußt
Du mit mir besprechen

 Es ist mir klar geworden, daß
nur die Liebe den Menschen in der
Welt notwendig macht

Heute habe ich Dich herbei gewünscht
ich hatte eine gute Stunde, Du hättest
etwas von mir lernen können.

 Es hat sich vor meinen Augen
ein Schleier auf der Vorhang aufgetan

 Wenn ich Dein Taschentuch küsse
schlürfe ich die Erinnerung jener Seligkeiten
ein mit denen mich jene wenigen unwieder-
bringlichen Stunden überfüllten.

 Die kalten toten Buchstaben ver-
mögen ja nichts zu sagen

 Wenn dieses Herz nur nicht
so stürmisch wäre

 sein Leben weggaukeln
Ich habe zu viel Blut ich brauche
Aderlässe
so menschlich innig eng u geheimnisvoll

Was hat man denn bisher getan?
gearbeitet den größten Teil d Zeit,
um zu leben

 Eine wundervolle Heiter-
keit hat meine \ganze/ Seele erfüllt

 Ich sehne mich nach schöner
Arbeit, ich werde sie suchen.

Besitz! unsere unaufhaltsame
Liebe

 Du stattliche, schlanke

___

 Wie wallt heute mein
Inneres, eine Flut stürmt
des Fühlens überschmett
alles Denken, ich mühe mich
ge sie ihnen Rhythmus zu
geben


Apparat

Überlieferung

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Quellenbeschreibung

4 Bl. (4 b. S.) – Notizblock.

Druck

Erstveröffentlichung.

Korrespondenzstellen

keine.

Datierung

Da WG auch in diesem Entwurf dem Taschentuch huldigte, das AM ihm offensichtlich als Liebespfand gegeben hatte, muss WG39 in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu WG38 gesehen werden, welcher am 6. oder 7. August 1910 entstand. Der 7. August als Tag nach der Abreise ist wahrscheinlicher, da WG AMs Abwesenheit bereits wieder thematisierte (Heute habe ich Dich herbei gewünscht).

Übertragung/Mitarbeit


(Jannik Franz)


A

n . v . . . g. – nicht entschlüsselbare Abkürzung.

B

Eine wundervolle Heiterkeit hat meine \ganze/ Seele erfüllt – Die Formulierung erinnert stark an den ersten Satz im zweiten Brief von : „Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen“ (, S. 10).